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Das war es also. Jetzt frage ich mich, wieso ich so lange gebraucht habe für diesen Schritt. In diesem Moment habe ich jedenfalls nicht das Gefühl, dass mir etwas fehlen wird, was mit dieser Bar zu tun hat. Licht aus, Tür zu und absperren. Den Schlüssel in den Briefkasten. Jetzt ist es vorbei, selbst wenn ich wollte, den Schlüssel könnte ich nicht wieder herausfischen.
Ich fühle mich noch einsamer als sonst, wenn ich um diese Zeit nach Hause gehe. Hoffe, wenigstens einer Katze zu begegnen, die vor einer der fetten Ratten flieht, die vom Fluss einen kleinen Ausflug hier herauf gemacht hat. Aber nichts, keine Katze, keine Ratte. Nicht einmal das Flackern irgendeiner defekten Leuchtreklame. Da nehme ich eine Bewegung in einem unbeleuchteten Hauseingang neben mir wahr und höre eine Männerstimme etwas sagen. Es ist nur ein Satz, und er klingt auf jeden Fall englisch. Drei Wörter, und wenn ich es richtig verstanden habe, dann waren es diese drei: »Kill Satoshi Nakamoto«. Ein Witz, denke ich und bleibe kurz stehen. Ich kneife die Augen zusammen und versuche in dem Dunkel irgendetwas zu erkennen. Da schaltet sich die Beleuchtung im Hauseingang an, und ich sehe durch die Milchglasscheiben der Eingangstür meinen letzten Gast, einen älteren Amerikaner, wie er sein altmodisches Handy zuklappt. Vielleicht doch kein Witz.
Sein rundes Gesicht mit der kleinen Nase und den fleischigen Lippen erinnert mich an Orson Welles. Und die Szenerie an »Der dritte Mann«. Das Licht geht aus, und der Mann mit dem Handy versinkt wieder in der Dunkelheit. Ich renne weg und höre hinter mir Schritte, die schneller sind als meine.
Ich muss mich gar nicht umdrehen. Muss nicht sehen, ob er zwanzig oder bereits fünfzehn Meter hinter mir ist. Ich muss einfach nur ein bisschen schneller werden. Der Ami wird mir nicht allzu lange folgen können. Immer noch höre ich seine Schritte. Sie werden weder lauter noch leiser. Vielleicht ist es gar nicht der Ami, der hinter mir her ist, sondern ein jüngerer Komplize? Aber den hätte ich doch sehen müssen. Nein, ich werde mich nicht umsehen. Ich werde einfach schneller, noch ein bisschen schneller. Ich beginne zu joggen, biege ab, laufe nicht direkt zu mir nach Hause, sondern mache einen Umweg einmal um den Block herum. Ich denke, es ist besser, mein Verfolger weiß nicht, wo ich wohne. Trotzdem krame ich während des Laufens schon in meiner Tasche nach dem Schlüssel. Ich halte ihn in meiner rechten Faust, es fühlt sich an, als hätte ich einen Schlagring zwischen meinen Fingern.
Jetzt wird sein Laufen ungleichmäßig, fast stolpert er vor sich hin. Gleich wird es leiser werden, und da höre ich auch schon, wie er stehen bleibt. Keine Schritte mehr, trotzdem blicke ich nicht zurück.
Ein Klicken oder Klacken, kaum zu hören. Mein Atem ist laut, übertönt alles. Trotzdem das Klacken. Ich weiß, wo ich dieses Geräusch zuletzt gehört habe. Es war im Kino. »Der Malteser Falke«, mit Humphrey Bogart. Ich weiß nicht mehr, wer mir gesagt hat, dass ich diesen Film unbedingt sehen müsste. Ich habe mich tödlich gelangweilt. Aber jetzt weiß ich, dass ich in eben diesem Film dieses Klacken gehört habe, genau wie jetzt. Klack, und dann hat es geknallt.
Immer noch drehe ich mich nicht um, versuche zickzack zu laufen. Ich mache es ihm nicht leicht. Ohne mich umsehen zu müssen, habe ich ein Bild vor Augen: Er steht da, außer Atem, viel erschöpfter als ich. Steht da mit ausgestreckten Armen. Mit beiden Händen hält er einen silberfarbenen Revolver, einen Colt oder eine Smith & Wesson Model 60 Boar Hunter, so genau kann ich das in meiner Phantasie nicht erkennen. Es ist dunkel, und ich weiß, so leicht ist es nicht, jemanden, der im Dunklen steht, zu erschießen. Besonders wenn man den Herzschlag wegen Überanstrengung bis in den Scheitel spürt und das Ziel außerdem in Schlangenlinien läuft. Noch einmal knallt es, getroffen hat er mich nicht.
Rechts in einen Durchgang zum Hinterhof, nochmal rechts, ich kenne diesen Hof. Ein schmaler Weg führt von hier zur Parallelstraße, kein Licht. Ich versuche so leise wie möglich zu sein. Manchmal ist es wichtiger, leise zu sein als schnell, denke ich mir. Ich versuche die Luft anzuhalten, aber es geht nicht. Vielleicht würde ich die Polizei ja doch anrufen, wenn mein Handy-Akku noch nicht leer wäre, ist er aber schon seit fünf Stunden. Wie fast jeden Tag habe ich vergessen ihn zu laden.
Ich bin zu schnell gelaufen. Zu viel Stress, zu viel Angst habe ich. Meine Brust bewegt sich heftig auf und ab, und am liebsten würde ich laut vor mich hinkeuchen. Ob es auch einen anderen Zugang zum Hinterhof gibt? Hat er Komplizen? Hat er Ihnen schon gesagt, wie ich aussehe und wo ich ihm entkommen bin? Und wie verdammt bin ich in diese beschissen schlechte Filmszene geraten? Das darf doch alles nicht wahr sein.
Zuerst strecke ich meinen Kopf aus der Deckung und linse um die Ecke. Die Parallelstraße ist frei. Kein Auto, keine Katze und keine Ratte. Auch der Ami ist nicht zu sehen. Ich laufe über die Straße und verschwinde gleich im nächsten Durchgang. Das einzig Gute an der Situation ist, dass ich sicher sein kann, mir das alles nicht nur einzubilden. Dieser Kerl ist öfter bei mir in der Kneipe gewesen. Irgendeiner hat mal spekuliert, der Typ wäre vom Geheimdienst und hinter Snowden her.
»Snowden, der ist doch bei Putin«, hab ich gesagt, daran kann ich mich noch erinnern.
»Das glaubst du«, hat der oder diejenige gesagt, ich weiß nicht mehr, wer es war.
Immer diese Verschwörungstheorien, denke ich. Egal, was es ist, um was es geht, in Berlin ist immer jemand zur Stelle, der dir erklärt, dass es sich um eine Verschwörung handelt. Immer. Mich regt das schon so auf. Doch überraschenderweise hat sich jetzt mein Puls etwas beruhigt, meine Atemfrequenz verlangsamt. Ich bin ihm entwischt, denke ich und hoffe gleichzeitig, dass er nicht an der nächsten Straßenecke wieder auftaucht. Ich würde mir in die Hosen machen.
Nein, ich gehe auf keinen Fall nach Hause. Vielleicht weiß er längst, wo ich wohne. Vielleicht steht er schon vor meiner Haustür, oder seine Kollegen haben bereits meine Wohnungstür aufgebrochen. Ich weiß es nicht, habe aber so ein ungutes Gefühl und überlege, bei wem ich zumindest für diese Nacht unterkommen könnte. Irgendwer, bei dem ich nicht klingeln muss und der nicht schreit, wenn er merkt, dass sich jemand in seine Wohnung geschlichen hat.
Mir fällt nur Janis ein. Der ist zwar immer stocksauer, wenn ein Fremder seine Wohnung betritt, weil er Messi ist und sich dafür schämt. Dabei sieht es in seine Wohnung nicht richtig schlimm aus, nur seltsam. In einer Ecke stehen gefühlt dreitausend Pizza-Schachteln sauber aufeinandergestapelt. In der gegenüber ein Würfel aus Pflastersteinen. Und zwischen diesen beiden Endpunkten alles andere, was kein anderer sammeln würde. Janis hat 'ne Meise. Zwei Blöcke weiter wohnt er, ein heruntergekommenes Eckhaus mit fünfzig Wohnungen. Nur er und im Vorderhaus ein Rentner, alle anderen sind schon ausgezogen. Janis hat mir mal gezeigt, wo er den Schlüssel versteckt und dazu gesagt: »Nur für Notfälle«. Wenn das heute kein Notfall ist, dann gibt es keine Notfälle.